Gegen das Vergessen


Samstagmorgen, Tageszeitung: Wieder Streik bei Amazon*,
letzte Messevorbereitung, hundert Tage Mindestlohn,
Cybermobbing, Flüchtlingsdramen. Auf zum DFB-Pokal!
Britain wettet auf den Namen seiner next Princess Royal.
Hillary will kandidieren, fünfzehn Jahre Merkel-Macht,
Spargelabsatz wird florieren, Junge unter Mordverdacht.
Griechenland und Euro-Krise, Piëch contra Winterkorn.
Es steh'n Meldungen wie diese auf den Titelseiten vorn.

Und ich lese die Berichte und beginne zu versteh'n:
Längst ist alles das Geschichte, was vor Jahr und Tag gescheh'n.


Und ich denke an all jene, deren Herz voll Trauer ist,
jäh zerstörte Zukunftspläne, Vater, der den Sohn vermisst,
die Familien vieler Frauen, Opfer von Gewalt und Macht,
und der Männer, denen's Grauen von Paris den Tod gebracht,
Frauen, die den Mann verloren, als das WTC gebrannt,
Töchter, die danach geboren und den Vater nie gekannt,
Menschen, denen vor zehn Jahren ein Tsunami nahm das Kind,
oder jene, die erfahren mussten, dass sie Waisen sind.

Aus den Medien schon verschwunden, doch aus der Erinn'rung nicht.
In des Samstags Abendstunden hüll' ich sie in ein Gedicht.



* deutsche Aussprache

 

Friedwald


schwarzes Loch in schneebedeckter Erde

Staub zu Staub

neues Leben aus der Asche werde

 

frisches Laub

bricht aus deines Baumes Zweigen

jetzt im Mai

Vögel singen und wir schweigen

time went by

 

junges Grün umwächst den Fuß der Linde

und ich leg

meine Hand auf deines Baumes Rinde

 

gingst den Weg

den wir alle einmal gehen

bist nun frei

uns bleibt nur am Grab zu stehen

time goes by

 

Vater, ach Vater ...


eingefallen deine Wangen

pergamenten spannt die Haut

blass und schmal auf deinem Kissen

nicht wie sonst und doch vertraut


schwer dein Atem schwach dein Körper

klar dein Blick und dein Verstand

hoffend auf der Ärzte Können

streichel hilflos deine Hand


Angst verschnürt mir meine Kehle

möchte dir so vieles sagen

kann nur schlucken kann nicht denken

Warten auf den Krankenwagen


müde schenkst du mir ein Lächeln

hebst die Hand zum Abschied schwach

Tränen brennen in den Augen

Vater, lieber Vater, ach ...


Abschied von der Mutter


Nieder senkt sich helle Eiche,

grüner Filz hüllt nassen Lehm.

Tränen rinnen über bleiche

Wangen abwärts und ich nehm'

deine Hand in meine Hände

und ich halte sie ganz fest.

Jeder Tod markiert das Ende

einer Ära, hinterlässt

auch der Mensch, der seine Lider

schließen darf, weil ohne Kraft

seine alten, müden Glieder,

seine Spuren. Dennoch klafft

eine Lücke. Sanft und leise

als ein stiller Gruß vom Sohn

zu der Mutter letzter Reise

rieseln Rosen nieder. Schon

decken Laub und braune Erde

Mutters letzte Heimstatt zu.

Der, der sprach, dass Leben werde,

schenk' ihr die ersehnte Ruh'.


Engel mit schwarzem Gefieder


Ganz sacht kam ein Engel mit schwarzem Gefieder

herab durch die Nacht auf die Erde geschwebt.

Am Fuß deiner Lagerstatt ließ er sich nieder.

Du hättest so gern noch gelebt …


… doch groß war das Leiden und nicht zu bezwingen.

So nicktest du leise und wehrtest dich nicht.

Der Engel berührte dich sanft mit den Schwingen

und hob dich hinauf in das Licht.


Und dort, in dem Leuchten der ewigen Sonne

erstrahlt sein Gefieder in blendendem Weiß,

und der dich als Bote des Todes genommen,

er führt dich zurück in den Kreis,


den Kreislauf von Werden und Sein und Vergehen.

Noch halten uns Trauer gefangen und Leid,

doch bleibt uns die Hoffnung, dich wiederzusehen,

sie trägt uns getrost durch die Zeit.



Reise in die Nacht


Nicht mehr rufen! Leise, leise ...

Stört mich nicht auf meiner Reise

in die Nacht!


Nicht mehr halten! Lasst mich ziehen!

Spüre meinen Geist entfliehen,

sacht, ganz sacht.


Was ich geben konnte, gab ich,

was ich sagen musste, hab' ich

längst gesagt.


Matt, erschöpft sind meine Glieder.

Müde schließe ich die Lider,

hochbetagt.


Doch auch wenn ich von euch gehe,

bleibe ich in eurer Nähe,

lasst ihr mir


einen Platz in euren Herzen.

Wenn ihr lächelt, trotz der Schmerzen,

bin ich hier.


Nicht mehr rufen! Leise, leise ...

Stört mich nicht ...


Weg ohne Wiederkehr


Ausgehaucht des Lebens Atem,

ausgesetzt des Herzens Schlag,

ruhst du sanft auf seid'nem Kissen

so, als schliefest du am Tag.


Frei von aller Müh' und Plage

letzter Wochen hast du Ruh'.

Still geschlossen müde Lider

scheint's, als lächelst du mir zu.


Was zu sagen war, das hattest

du beizeiten mir gesagt.

Was zu fragen war, das hatte

ich beizeiten dich gefragt.


Wissend um das nahe Ende:

Abschied – jeden Tag ein Stück,

wach im Geist, verschnürt die Kehle.

Dieser Weg kennt kein Zurück.


Und doch – im Auge brennt die Träne,

Trauer wiegt im Herzen schwer.

Den Vater trage ich zu Grabe,

was bedarf's der Worte mehr?

Abschied


Letzte Worte, längst verklungen;

so viel Ungesagtes bleibt.

Finger halten sich umschlungen,

der Sekundenzeiger treibt.


Letzte Blicke, unverwandte,

sprechen stumm von Sympathie.

Rücktritt von der Bahnsteigkante!

Türen schließen. C'est fini …


Lächeln durch getönte Scheiben,

die zum Gruß erhob'ne Hand:

Bilder, die für immer bleiben,

in die Netzhaut eingebrannt.


Räder rollen und ich gucke,

bis nur noch ein Punkt zu seh'n.

Irgendjemand seufzt. Ich schlucke.

Und dann wend' ich mich zum Geh'n.



Heimweg durchs Moor


 Foto: A.Dreher / Pixelio.de

Die Nacht voller Schatten, des Vollmondes Licht

durchdringt kaum die Wolken; getrübt ist die Sicht ...

 

Aus Wiesen steigt wabernder Nebel empor.

Ihr Heimweg – er führt sie durchs düstere Moor.

 

Sich tastend versichernd des richtigen Wegs,

ihr Fuß sucht das Ende des hölzernen Stegs.

 

Und tief aus dem Dunkel des Moorpfades Rand

schreckt kahles Geäst ihre scheuende Hand.

 

Ein zischelndes Keuchen ... Sie zögert und lauscht.

Gespenstische Ruhe – ihr Blut nur, das rauscht.

 

Die schützende Hülle des Brustkorbs fast sprengt

ihr wild klopfend Herze, als heimwärts sie drängt.

 

Der Schrei eines Käuzchens die Stille durchdringt,

als Angst sie aufs Neue zum Einhalten zwingt.

 

Vibriert nicht der Steg unter wildfremdem Schritt?

Doch nein, es war nichts als der eigene Tritt ...

 

Da vorne – ein Leuchten – dem Himmel sei Dank.

Warum nur erscheint ihr der Weg heut' so lang?

 

Ein Lufthauch – doch nicht sie erfrischend und kühl,

nein, fast sie erdrückend und gnadenlos schwül.

 

Das Haar sich ihr sträubt, als sie schaudernd begreift,

dass feucht-heißer Atem den Nacken ihr streift ...

 


Abtritt


Dunkelroter Samt, zerschlissen,

letzter Nachhall von Applaus,

Staubkorntanz in Pappkulissen,

kein Da Capo ... Fine! Aus!.


Pianissimo verklungen,

letzter Ton schwebt in der Luft,

Notenblatt, Erinnerungen,

Schminke, Schweiß, Theaterduft ...


Leer die Gänge, leer die Kassen,

träumend ein Kostüm im Spind.

Garderobe gähnt verlassen,

ausgestorben, Spiegel blind.


Müde senkt er seine Lider.

Weiße Lilien aus der Hand

legt er vor der Bühne nieder.

Schweigend geht der Intendant


Übermorgen


Morgen – sagt er – wird es klappen,

übermorgen ganz bestimmt.

Heute muss ich Akten prüfen.

 

... und die Zeit, die Zeit verrinnt.

 

Sicher – sagt er – nächste Woche,

nächste Woche – woll'n mal seh'n ...

Wo ist mein Terminkalender?

 

... und die Zeit, sie bleibt nicht steh'n.

 

Warte – sagt er – ein paar Jahre.

Wenn ich erstmal Rentner bin,

ach, dann woll'n wir herrlich leben.

 

... und die Zeit, sie geht dahin.

 

Tschüss dann – ruft er – muss jetzt fahren.

bin spät dran, es hat geschneit.

Hinter der vereisten Kurve

 

... endet seine Zeit.

 

Verschwunden


lange ungewisse Stunden

längst beraubt des letzten Lichts

Finger trommeln die Sekunden

in der Stille dröhnt das Nichts


und sie lauscht auf das Verharren

kleiner Füße stets aufs Neu'

doch ihr Ohr hält sie zum Narren

wieder ziehen sie vorbei


zwar pulst Blut noch durch die Adern

doch sie fühlt sich müd' und schwach

nicht mehr kämpfen, nicht mehr hadern …

nur die Hoffnung hält sie wach


Wenn die Engel Trauer tragen


Lautlos hallen deine Klagen,

Stunden dehnen sich zu Tagen.

endloses Martyrium ...

 

Fäuste gegen Mauern schlagen,

Wände stehen deinen Fragen

gegenüber, starr und stumm.

 

Wenn die Engel Trauer tragen,

wer kann uns die Antwort sagen

wenn die Seele schreit „WARUM?“ 



Über facebook gepostete Kommentare:

Wilfried U. Marita Rüffer Du sprichst mir aus dem Herzen ..... Traurig ...

Abschied II


 

 

Sie schmiegen sich eng aneinander,

noch längst nicht zum Abschied bereit,

voll Furcht auf das Morgen, denn Gestern

und Heut' war'n Geschenke der Zeit.

 

Der Blick sucht im Auge des Andren

nach Antwort. Die Frage heißt: Wann?

Sie ahnen, es ist jene Frage,

die keiner beantworten kann …

 

Kein hektisches Treiben am Bahnsteig,

kein Rufen, kein Laut stört ihr Sein.

Die Welt ringsumher ist verschwunden.

Es gibt nur sie beide allein.

 

Erbarmungslos wandern die Zeiger.

Ihr Ticken erstickt jedes Wort.

Ein Kuss noch … Gehauchtes Versprechen.

Und dann ist sie fort ...

 

 


Auf der Netzhaut


Ein Bild, das auf der Netzhaut brennt,

das nahm ich mit als Souvenir:

Erinnerung an den Moment

des ersten Blickkontakts mit dir.

 

Und dann ein zweites, hell und klar,

vor himmelblauem Hintergrund:

Ein schelmisch blitzend' Augenpaar,

ein Kräusellippen-Schmunzelmund.

 

Das letzte Bild, tief eingebrannt,

Ein Gruß aus fast vergess'ner Zeit.

Zum Abschied winkt mir deine Hand.

Ich lächele – Vergangenheit.

 

Doch träumen ist ab jetzt tabu.

Bewusst entscheide ich: Verzicht.

Ich schlag das Netzhautalbum zu

und flüchte mich in ein Gedicht.

 


Leb wohl


Leb wohl, mein Freund, es ist vorbei.

Ich werd' dich nicht vergessen.

Die Zeit, sie war wohl für uns zwei

von vornherein bemessen.


Ich spür's, mein Freund, ich bin dir nicht

mehr das, was ich gewesen.

Aus allem, was dein Mund nicht spricht,

kann ich es hör'n, kann's lesen


in jedem Wort, das deine Hand

sich weigert, mir zu schreiben.

Noch kämpft das Herz mit dem Verstand.

Ich möchte geh'n und bleiben.


Wir waren füreinander da.

Du lehrtest mich das Sehen,

von Dingen, die ich niemals sah.

Ich hieß dich aufzustehen,

wenn Zweifel dich zu Boden drückt,

und an dich selbst zu glauben.

Ich weiß, wir waren so verrückt,

uns Hoffnung zu erlauben ...

 

Ein jeder von uns gab, mein Freund,

dem and'ren, was er konnte.

Doch nun verschieben sich, wie's scheint,

wohl uns're Horizonte ...

 

Leb wohl, das Jahr mit dir war schön.

Dein Weg ist nicht der meine.

Doch eh' wir auseinandergeh'n,

versprich mir noch das Eine:

 

Bedarfst du meiner, ruf nach mir,

gib mir ein kleines Zeichen!

Und bin ich auch weit fort von dir,

dein Ruf wird mich erreichen.